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Ins Deutsche übersetzt von Luisa Baumann, Originalartikel auf Französisch
Die Arktis sei, laut dem norwegischen Admiral Bruun-Hanssen, die stabilste Region der Welt. Die Verhandlungen des Abkommens, das wir untersuchen werden, illustriert gut die Probleme, welche die Diplomatie regeln kann, in einem friedlichen Kontext des Dialogs und rationellem Management der Umwelt der Arktis. Jedoch ist die Zukunft dieser Stabilität in dieser Ära der Spannungen zwischen Russland und den europäischen Staaten, die Hauptakteure bezüglich des Schutzes der Arktis, ungewiss und die Errungenschaften der bisherigen Zusammenarbeit könnten in Frage gestellt werden.
Am 15. September 2010 wurde in der russischen Stadt Mourmansk das Abkommen über die Festlegung der Seeabgrenzung zwischen dem Königreich Norwegen und der Russischen Föderation unterschrieben. Da es die Frage der Meeresgrenzen zwischen den zwei Ländern in der Barentssee sowie im arktischen Ozean regelt, legt dieses Abkommen auch den Grundstein einer Zusammenarbeit zwischen den zwei Nationen was die Verwaltung dieses Gebiets angeht. Das Abkommen wurde in einem Kontext unterschrieben, wo es ein starkes Wiederaufleben des Interesses für diese Region reich an Kohlenwasserstoffen, Fischerei und Mineralen Rohstoffen, die immer zugänglicher werden, gab. So ist das Interesse beider Länder enorm. Für Russland, das Land mit der grössten arktischen Meeresfront, stellt diese Zone eine zentrale Frage dar und so versucht es, diesen Teil seines Gebiets aufzuwerten, für den wahrscheinlichen Falle, dass sich im hohen Norden ein zugänglicher und schneller Handelsweg abzeichnen wird. Diese Zunahme an menschlichen Aktivitäten, gekoppelt mit einer schnellen Eisschmelze und einer Erwärmung der Zone, gefährdet die fragile Umwelt in der Region. Eine Gefährdung, die von der Zerstörung des Ökosystems bis zur Verschmutzung der Gewässer durch Kohlenwasserstoffe oder durch Abfall, der von der Erde kommt, geht. Die arktischen Staaten haben, angesichts der Auswirkungen, welche diese Umweltprobleme auf ihre Interessen haben werden, ein Kooperationssystem errichtet, welches als Fundament den Arktischen Rat hat. Dennoch vernachlässigen die Staaten bilaterale Ansätze, um die Probleme zu regeln die auftreten könnten, nicht. So ist dies der Fall des Abkommens von 2010 zwischen Norwegen und Russland.
Im Völkerrecht erfolgt die Festlegung der Seegrenzen, was die ausschließliche Wirtschaftszone und das Küstenmeer anbelangten, nach einem deklarativen Prinzip, unter Einhaltung des Rechts. Der Staat erklärt also seine Grenzen, und wenn diese von einem anderen Staat angefochten werden können, beginnen Verhandlungen zur Beilegung von Streitigkeiten, die manchmal sogar so weit gehen, dass sie von einem internationalen Gericht oder Tribunal entschieden werden müssen, wie die umfangreiche Rechtsprechung zu diesem Thema des Internationalen Gerichtshofs oder des Ständigen Schiedshofs belegt. Den normativen Rahmen für die Abgrenzung ist seit 1972 das Übereinkommen von Montego Bay, das die Limite von 12 Seemeilen Länge für das Küstenmeer und 200 Seemeilen für die ausschließliche Wirtschaftszone festlegt. 1960 wollte Norwegen seine Seegrenze entlang der Mittellinie ziehen, die seinen Besitz von dem der UdSSR trennt, eine Methode, die später in Artikel 15 des Übereinkommens von 1972 festgeschrieben wurde. Die UdSSR wollte jedoch eine “Sektorentheorie” anwenden, die zu einer ganz anderen und für Norwegen weniger günstigen Seegrenze führt.
Dieser Abgrenzungskonflikt schuf eine “graue Zone”, ein umstrittenes Gebiet von fast 175000 km2 in der Barentssee, nahe des Archipels Svalbard. Um die Nutzung des Gebiets fortzusetzen und dabei Konflikte zu vermeiden, einigten sich die beiden Staaten 1978 auf ein zeitlich begrenztes Fischereiabkommen. Allerdings ist zu beachten, dass Norwegen auch seine Rechte auf die Gebiete rund um den Archipel Svalbard geltend machen wollte, von denen sich ein Teil in der mit Russland umstrittenen Region befindet. Diese Inselgruppe, die zu Norwegen gehört, ist Bestandteil eines Vertrags, des Spitzbergen-Vertrags von 1920, der allen Vertragsstaaten (d. h. 41) Nutzungsrechte in den Gewässern gewährt. Seit dem Aufkommen des modernen Seerechts mit seinen Abgrenzungsregeln versuchte Norwegen, dies zu ändern, indem es die Lex Generalis anwandte, die für das Land viel vorteilhafter ist. Die Anerkennung seiner Rechte durch Russland wäre ein erster Schritt.
Da die rechtliche Tendenz dahin geht, die Grenze durch die Mittellinie der Äquidistanzpunkte zu ziehen mit einer Anpassung bei besonderen Umständen, hatte Russland kaum Chancen, seine Ansprüche vor einem Gericht durchzusetzen. Ein Abkommen mit Norwegen ebnete den Weg für künftige gute Beziehungen in der Region, insbesondere im Rahmen der Führung durch den Arktischen Rat. Norwegen seinerseits verhandelte und unterzeichnete den Vertrag, um seine Besitzungen in der Barentssee abzugrenzen, sich eine neue Legitimität in den Gewässern, um den Archipel Svalbard zu verschaffen und Russland zu zeigen, dass es bereit ist, Zugeständnisse für künftige gute Beziehungen zu machen. Daher wurde 2010 ein Vertrag unterzeichnet, der 50 Jahre Gebietsstreitigkeiten beendete. Dieser Vertrag, der einen Kompromiss über die Grenzziehung darstellt, teilt das umstrittene Gebiet in zwei Hälften. Es ist wahrscheinlich, dass Norwegen mit einer Klage vor dem Internationalen Gerichtshof oder dem Ständigen Schiedsgericht mehr hätte erreichen können, daher scheint der Vertrag ein von Norwegen angebotenes Pfand zu sein, um eine gemeinsame Grundlage für eine nachhaltige Zusammenarbeit in der Region zu schaffen. Tatsächlich legt das Abkommen den Schwerpunkt auf die Zusammenarbeit in den Bereichen Fischerei und Mineralienabbau, indem es einen Grundsatz der vorherigen Verhandlung über die Ausbeutung des Festlandsockels, der sich mit den Meeresgebieten beider Staaten überschneidet, festlegt. Dieser Teil des Abkommens ermöglicht Norwegen den Zugang zu den reichen Kohlenwasserstoffvorkommen in der Barentssee, während es letztlich gleichzeitig seinen Hauptkonkurrenten/Co-Verwalter, nämlich Russland, in der Region im Auge behält, das weitaus reicher an Öl und Gas ist.
Das Abkommen stellt nicht nur die Interessen der beiden Nationen in der Region sicher, sondern ist auch Teil eines größeren Kontextes, in dem es um die gemeinsame Verwaltung der Arktis geht. So gibt es gerade in der Barentssee den Barents Euro-Council, ein 2008 gegründetes zwischenstaatliches Organ, das die Zusammenarbeit bei der Verwirklichung einer nachhaltigen Entwicklung in der Region dieses reichen Meeres fördern soll. Er bietet auch eine weitere Ebene der Koordination zwischen den Ländern als Ergänzung zu anderen Organisationen wie dem Arktischen Rat.
Zudem war die Unterzeichnung des Vertrags Teil eines Kontexts, in dem sich die Beziehungen zwischen Russland und Norwegen, aber auch zwischen Russland und dem Westen im Allgemeinen verbesserten. Norwegen hatte jedoch immer Angst vor einer Militarisierung des Gebiets durch seinen großen Nachbarn, da Murmansk ein bedeutender Militärhafen in der Arktis ist. Auch wenn der Arktische Rat die Verwaltung der Militarisierung der arktischen Zone ablehnt, muss man feststellen, dass diese fortgesetzt wird. Die NATO engagiert sich via Norwegen in der Region, und Russland treibt die Modernisierung und den Ausbau seines Militärs voran, um seine Interessen in der Region zu sichern. Angesichts der aktuellen Ereignisse, die Russland von seinen europäischen Nachbarn entfernen, scheint die Zusammenarbeit zwischen den arktischen Staaten keine rosige Zukunft zu haben, und alle diplomatischen und Governance-Bemühungen, um ein gutes Management der Region zu erreichen, könnten zusammenbrechen, wenn sich die Beziehungen weiter verschlechtern. Die zukünftigen Beziehungen zwischen Norwegen und Russland werden die Zukunft der Organisation bei der Verwaltung der Arktis stark bestimmen. Ist eine Rückkehr zur Logik des Kalten Krieges und eine ungebremste Aufrüstung dieser Akteure wahrscheinlicher als eine Rationalisierung beim Management der Umwelt und die Fortsetzung einer effizienten Zusammenarbeit? Hoffen wir, dass die Entscheidungsträger Entscheidungen treffen, die es ihnen ermöglichen, ihre diplomatischen Fortschritte zu bewahren, um letztendlich die empfindliche Umwelt des Polarkreises zu erhalten. Jeder Staat hat ein klares Interesse daran.
Bibliografie:
Icy waters, hot tempers, and high stakes: Geopolitics and Geoeconomics of the Arctic Elina Brutschin∗, Samuel R. Schubert Webster University, Vienna, Austria
RUSSIAN ARCTIC SECTOR BOUNDARIES: THE INTERNATIONAL ISSUES OF LEGAL REGIME IN THE ARCTIC REGION Sofiya Shvelidze IMO International Mariitme Law Institute, Msida, Malta
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Current Legal Developments the Barents Sea in: The International Journal of Marine and Coastal Law Author: Øystein Jensen Online Publication Date: 01 Jan 2011.
THE ARCTIC ENVIRONMENTAL PROTECTION STRATEGY, ARCTIC COUNCIL AND MULTILATERAL ENVIRONMENTAL INITIATIVES: Tinkering while the Arctic Marine Environment Totters, 2002 Denver Journal of International Law and Policy Denver Journal of International Law and Policy Spring, 2002